Kooperationsprojekt mit der Sammlung Prinzhorn Heidelberg
Zum Werk von Else Blankenhorn
Studierende der Hochschulstudiengänge Künstlerische Therapien der HfWU Nürtingen-Geislingen, 4. Semester, setzten sich im Sommersemester 2022 mit dem Werk von Else Blankenhorn (1873 - 1920) auseinander. In Videoarbeiten und plastischen Werken näherten sie sich der Künstlerin an.
Zehn der entstandenen Resonanzwerke werden in der Ausstellung »Das Gedankenleben ist doch wirklich« – Else Blankenhorn eine Retrospektive gezeigt. Sie sind besondere Vermittlerinnen von Leben und Œuvre Else Blankenhorns.
Das Kooperationsprojekt mit der Sammlung Prinzhorn war so angelegt, dass alle Studierenden auch gemeinsam miteinander arbeiten konnten. Interessanterweise scheint die spürbare Einsamkeit, in dem das Werk Else Blankenhorns entstanden ist, genau diesem Ansatz entgegengewirkt und bis auf eine Ausnahme eher das Bedürfnis nach einer persönlichen, einzelnen Auseinandersetzung ausgelöst zu haben. Die Studierenden antworteten am stärksten auf das Sehnen und Begehren im Werk von Else Blankenhorn, aber auch auf den Verlust der eigenen Singstimme.
Unter dem Kapitel »Resonanzarbeiten der Studierenden« sind alle Werke zu sehen. Über das Anklicken der Pfeile können die Bilder vor- bzw. zurückbewegt werden. Die Video- bzw. Audiospuren sind über die Bilder verlinkt. Kleine Ausführungen zu den jeweiligen Arbeiten befinden sich darunter.
Resonanzarbeiten der Studierenden
Durch ein Anklicken der Bilder können die auf YouTube hinterlegten Video- und Audioarbeiten der Studierenden betrachtet und gehört werden. Die Bildunterschriften geben Auskunft, ob ein Film oder eine Audiospur vorhanden ist.
Cora Buchholz-Knipping
- »Die Kartei der Liebenden – Das Haus der Liebenden«, 2022
Mein Werk bezieht sich auf Else Blankenhorns sinnstiftende Arbeit, die sie als Gemahlin Kaiser Wilhelm II. aufgenommen hat; sie kümmert sich um die Auferstehung von Liebespaaren und deren Unterbringung.
Das Metallgehäuse symbolisiert einen sicheren, die Vergänglichkeit überdauernden Raum. Aus ihm heraus errettet Else Blankenhorn die Liebespaare und führt sie hinauf in das leuchtende Haus, welches sie willkommen heißt. Die miteinander verschlungenen Ringe der herunterhängenden Ketten stehen dabei ebenso wie Eheringe für ewige Treue und Liebe.
Johanna Haackmann
- »Wärmende Begegnungen«, 2022 (Video)
Im Kurzfilm »Wärmende Begegnungen« geht es um einen Prozess des Auftauens. Eingefrorene Blumen in einem Kühlschrank stehen symbolisch für Isolation und Zurückgezogenheit. An einem sonnigen Ort wird ein Tea-Setting errichtet, das einen Raum der Begegnung ermöglicht. Es wird sichtbar, dass durch Zeit und Beziehungswärme Eis zum Schmelzen gebracht werden kann und die eingefrorenen Blumen symbolisch wieder aufblühen.
Michelle Heß
- »Durch die Blume – durch’s Papier – durch die Zeit«, 2022 (Audio)
Selbstgeschöpftes Papier mit eingearbeiteten Blütenblättern - über die Audiospur ist ein fiktiver Liebesbrief von Else Blankenhorn an Kaiser Wilhelm ll. zu hören: Die ersten Zeilen des Briefes wurden per Schreibmaschine auf das Papier getippt. Damit soll Else Blankenhorns Liebe zum Kaiser Ausdruck und Raum erhalten. Themen dieser Arbeit sind Sehnsucht, unerfüllte Liebe, aber auch die verschiedenen Arten von Liebe.
Sarah Luisa Hilt
- »Sog der Sehnsucht«, 2022 (Video)
In »Sog der Sehnsucht« geht es um Else Blankenhorns Sehnsucht nach Verbundenheit, nach Gemeinsam-Sein und ihrer Suche nach Beziehungen. Im Film trifft Else auf ihre imaginierten Liebespartner Wilhelm und Berta. Dabei kommt sie ihrer Sehnsuchtserfüllung näher. Zugleich zieht sie die Sehnsucht in die Tiefe.
Leonie Mysliwetz
- »Weltenwechsel«, 2022
Achtsames Innehalten, neugieriges Betrachten und Eintauchen in eine fast magische Welt.
Worte, die den Geist beflügeln, Strukturen, welche die Schönheit der Natur hervorheben.
Else Blankenhorns Verbundenheit mit der Natur und ihre Liebe zur Poesie treffen aufeinander, verschmelzen und inspirieren sich gegenseitig. Zarte Espenblätter und blau bedruckte Seide treten in eine dynamische Interaktion mit den Betrachtenden. Ein leichtes Schwingen des blauen Tuches, ausgelöst durch eine sanfte Bewegung, lässt an Meer und Weite denken. Gleichzeitig erinnert das sanfte Rascheln der Blätter an einen Luftzug im Wald. Ein feines Ausloten von zarter, fast schwebender Filigranität und haltender Struktur verleiht dem Kunstwerk sein Gleichgewicht.
N.O.A. - Agnes Bech | Omen Dalal | Niels Haug
- »Embodiment«, 2022 (Video)
Im Film »Else Blankenhorn – Embodiment« von Niels Haug, Omen Dalal und Agnes Bech, die sich als Künstler*innenkollektiv »N.O.A.« nennen, geht es um die Verkörperlichung der bruchstückhaften Elemente von Else Blankenhorns Geschichte und ihrer imaginären Liebesbeziehung zu Kaiser Wilhelm II. Die Musik geht von einer selbstkomponierten Melodie Else Blankenhorns aus und bildet den Grundbaustein des Filmes.
Lia Rothe
- »Der Kaiser«, 2022
Wer ist der Kaiser? Wofür steht er und wofür ist er zu gebrauchen? Was wird sichtbar, wenn die innere Vorstellung versucht die Realität zu vertreten? Welche Beziehung entsteht dabei zwischen Else Blankenhorn, dem Kaiser und mir selbst?
Durch das stetige Auftauchen des Kaisers in Blankenhorns Werken formte sich während meiner Arbeit eine eigene Interpretation von Wilhelm II. Die spezifischen Gestaltungselemente der Puppe, wie beispielsweise die Verbindung zwischen langem Haar und Bart, der japanisch anmutende Mantel oder die kaiserliche Kopfbedeckung, stellen Bezüge zu Blankenhorns Bildwelten her. Sie verbinden sich in der Figur mit meiner eigenen Fantasie eines kaiserlichen Schutzpatrons.
Innerlich steht das Auftreten der Figur als Handpuppe symbolisch für die tiefe Sehnsucht nach Kontakt und Dialog, nach einem Gegenüber, das immerwährend da ist. Die Figur des Kaisers wird so zum möglichen Gebrauchsobjekt, zum Beschützer und Helfer. Im übertragenen Sinne spiegelt sich im Dasein der Puppe das innere Dilemma zwischen unbedingtem Wunsch nach Verbundenheit und dringlicher Notwendigkeit sicherer Distanz wider, dessen Regulation damit stets handhabbar bleibt.
Marie Binni Zá Martinez Royal
- »Cuerpo de Maiz«, 2022 (Video)
Else Blankenhorn zeichnet aus Furcht vor geschlechtlichem Begehren ihren Körper mit der Natur verschmelzend (z.B. in »Baumfrau«). Diese Furcht vor sexualisierter Gewalt ist keine individuelle Erfahrung Elses, sondern auch heute noch ein strukturelles, gesellschaftliches Problem. In »cuerpo de maíz« entsteht als Schutz vor den sexualisierenden, aber auch exotisierenden »Blicken der Allgemeinheit« (Yagoobifarah 2020: 79) eine Art Kokon aus Maisblättern um den Körper der Künstlerin.
Yagoobifarah, H. (2020): »Blicke« In: Yagoobifarah, H. und Aydemir, F. (Hg.). Eure Heimat ist unser Albtraum. Ullstein, Berlin.
Paula Schoop
- »aus.tariert«, 2022
Else Blankenhorn bewegt sich in ihrer eigenen Wirklichkeit, so wie wir alle auf gewisse Weise unsere eigenen Wahrheiten leben. Sie konstruiert sich ihre Welt und ihr Universum. Können wir einander begegnen, wenn wir in verschiedenen Welten leben? Was passiert, wenn unsere Wirklichkeitskonstrukte ins Wanken geraten? Verlieren wir dann den Halt? Bekommen wir unsere Wahrheit wieder austariert?
Fanny Widmann
- »Stimmverlust«, 2022 (Video)
Elses Welt erschien für mich immer wieder wie hinter einem milchigen Vorhang: Rätselhaft undurchsichtig, nicht nachvollziehbar. Else Blankenhorn wurde mit »Stimmverlust« ins Sanatorium eingeliefert. In diesem Video versuche ich durch den Prozess des Stimmverlusts Else Blankenhorn ein Stück näher zu kommen und nachzuspüren sowie einen Begegnungsraum durch Selbsterfahrung zu öffnen. Text und abgewandelte Melodie stammen aus der Oper »Lohengrin«, mit deren Charakter »Elsa« sich Blankenhorn identifizieren konnte.
Resonanzen mit den Seelenbildern (NTZ, 19.09.22)
Kooperationsprojekt Studierender des Studiengangs Kunsttherapie an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) mit Ausstellung Else Blankenhorn, Sammlung Prinzhorn Heidelberg
NÜRTINGEN (hfwu). Bilder einer Geisteskranken waren es zu ihrer Zeit. Der Seelenwelt von Else Blankenhorn haben Studierende der Kunsttherapie an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) nachgespürt. Die erste große Einzelausstellung des Werks von Blankenhorn wurde jetzt in Heidelberg eröffnet. Im Rahmen der Retrospektive zeigen die Studierenden ihre Arbeiten, die in der Auseinandersetzung mit der vielfältig schaffenden Künstlerin entstanden sind.
Die farbenstarken visionären Bilder von Else Blankenhorn (1873 - 1920) entwickeln einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann. „Das Gedankenleben ist doch wirklich“, vermerkt sie in ihrem poetischen Nachlass. Nach dem Verlust ihrer Singstimme gerät die junge Frau in eine tiefe psychische Krise. Viele Jahre bis zu ihrem frühen Tod verbringt die Tochter aus einer großbürgerlichen Familie in einem Sanatorium. Dort entstehen Gemälde, Zeichnungen, Bildteppiche, Übersetzungen und Kompositionen.
„Im Werk von Else Blankenhorn öffnet sich eine magische Welt“, sagt Leonie Mysliwetz, „in ihrer filigranen Person verbindet sich Poesie und Natur.“ Diesen Aspekt versucht die Kunsttherapie-Studentin in ihrem eigenen Kunstwerk, das im Rahmen der Retrospektive zu sehen ist, auszudrücken. Das Objekt „Weltenwechsel“ ist auf der einen Seite ein Teppich von filigranen Espenblättern, auf der anderen ein blauer Seidenstoff, bedruckt mit Fragmenten aus Blankenhorns Texten. Scheitern und sich doch immer wieder neu und vorsichtig aufmachen, über die Natur eine Annäherung an das eigene Seelenleben finden. Diese Impulse aus dem Werk von Blankenhorn greift „Weltenwechsel“ auf.
In der Kaiserfigur von Lia Rothe sind es ganz andere. „Die Handpuppe steht symbolisch für die tiefe Sehnsucht Else Blankenhorns nach Kontakt und Dialog“, beschreibt die Studentin ihr Werk aus Pappmaché und Stoff. Die Figur von Wilhelm II. taucht immer wieder in Blankenhorns Werk auf. Im Geiste sah sie sich dem Kaiser als Gattin verbunden. „Die Puppe steht für dieses innere Dilemma zwischen dem großen Wunsch nach Verbundenheit und Schutz auf der einen und dem absoluten Bedürfnis nach sicherer Distanz auf der anderen Seite“, so Rothe. Die Handpuppe ermögliche fiktiv eine Regulation zwischen beidem.
Studierende des Bachelor-Studiengangs Kunsttherapie an der HfWU in Nürtingen hatten sich sechs Monate lang unter Leitung von Prof. Dr. Tobias Loemke mit Else Blankenhorn und ihrem Werk auseinandergesetzt. Acht der plastischen und filmischen Resonanzwerke werden in der Ausstellung gezeigt. „Weltenwechsel“ und die Kaiser-Figur zeigen, worum es dabei geht. „Einen eigenen engen Kontakt in die künstlerische Praxis zu finden, das tiefere Bewegtsein zu entdecken und spüren zu können, was in jedem Kunstwerk steckt, das ist die wichtigste Voraussetzung für das kunsttherapeutische Arbeiten“, bringt es Tobias Loemke im Rahmen der Ausstellungseröffnung in der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg auf den Punkt.
Else Blankenhorn glaubte, von Kaiser Wilhelm die karitative Aufgabe erhalten zu haben, die Auferstehung begrabener Liebespaare zu finanzieren. So schuf sie mehr als hundert „Geldscheine“. Ihr Scheitern, ihre Zerrissenheit, ihre Sehnsucht nach Verbindung und Liebe, all das lebt ein wenig in den Arbeiten der Studierenden wieder auf.